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Spanien: Prekarisierung, Staatspleite und die Bankrotterklärung der demokratischen Kultur

Mai 21, 2011

Die aktuellen Berichte aus Spanien legen nahe, dass zumindest in einem EU-Land das Ende der Geduld mit der immer weiter voranschreitenden Prekarisierung und Perspektivlosigkeit allmählich erreicht ist. Grundsätzlich eine erfreuliche Nachricht. Der armselige Versuch, das erste Aufflackern von Widerstand durch Verbote zu unterbinden, wirft allerdings – wie manch andere Nachricht der letzten Wochen von Grenzkontrollen bis Griechen-Bashing – ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Demokratie in Europa.

„Es geht um eine Jugend, die, ohne selbst Aussicht auf gute Beschäftigungsverträge, ausreichend große Wohnungen oder eine abgesicherte Pension zu haben, für die Kredite ihrer Vorgängergeneration geradestehen muss. Wer unter ihnen nicht erbt oder in die dünne Schicht des Managements aufsteigt, wird von allen künftigen Krisen und Verwerfungen hauptbetroffen sein. Ihr Ärger ist schlicht verständlich und wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit in ganz Europa ausbreiten.“

Sagt also die konservative österreichische „Presse“. Da hat die „Presse“ zur Abwechslung mal vollkommen recht. Nur, dass diese Jugend nicht nur in Spanien zu finden ist und dass das Problem nicht erst bei den heute 18-25-jährigen angefangen hat. Bereits diejenigen, die heute Ende 20 bis Mitte 30 sind, waren UND SIND massiv davon betroffen.

Die „Müllverträge“ sind keinesfalls ein spanisches Problem, sondern für junge Arbeitnehmer Usus, seit Ende der Neunziger (in vielen Ländern übrigens unter Regierungen, die sich selbst als sozialdemokratisch bezeichneten) die Liberalisierung – und damit Prekarisierung – des Arbeitsmarktes eingeleitet wurde. Die zahlreichen Formen nicht existenzsichernder, nicht sozialversicherungspflichtiger und hochprekärer „Erwerbsarbeit“ heißen Praktikum, Projektanstellung, Kleinselbständigkeit, Teilzeit, Minijob, Zeitvertrag etc. …die organisierte Marginalisierung einer ganzen Generation hat viele moderne Namen,  die alten wie Tagelöhnerei, Frondienst oder Leibeigenschaft klingen eben gar zu hässlich.

Die Politik hat das Entstehen der „verlorenen Generation“ nicht nur tatenlos geduldet, sondern durch immer weitere Zugeständnisse an selbstgefällige Konzernlenker und Kapitaleigner aktiv ermöglicht. Die EU ist an der Entwicklung nicht unschuldig. Beispiel Schweden: Dort wollte man die Zeitarbeitsfirmen und ihre Lohndrückerei gar nicht erst ins Land lassen, wurde dann aber per EU-Rüffel dazu genötigt, den Markt für sie zu öffnen.

Allen Schwedischsprachigen – das Buch ist leider noch nicht übersetzt – sei zur „verlorenen Generation“ zum wiederholten Male Gustav Fridolins Buch „Blåsta!“ ans Herz gelegt. Es gibt kaum eine bessere Zustandsbeschreibung der Lebensumstände dieser Generation, die sich dann z.T. noch als Versager beschimpfen lassen muss, weil sie keine dicken Gehälter mehr verdient. Dann hat sie eben nicht das richtige gelernt, sich nicht genug bemüht, nicht genug vorm Arbeitgeber gekuscht, dann ist sie faul, karrieregeil und zu anspruchsvoll. Immer getreu der Logik, angesichts des Erdbebens den Seismographen zu prügeln. Immer frei nach dem Muster „Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen.“

Es ist also nur folgerichtig, wenn Politik und Wirtschaft – egal wo! – endlich die Quittung bekommen für ihre arrogante, selbstgerechte und menschenverachtende Haltung gegenüber jungen Arbeitnehmern, denen ohne auch nur den leisesten Anflug von Skrupeln die Zukunft gestohlen wurde, denen Eigenständigkeit, Selbstbestimmung, Altersvorsorge, Familiengründung und alle möglichen anderen Lebenspläne rigoros verwehrt werden, weil sie nicht einmal ihre eigenen Lebenshaltungskosten erarbeiten können, aber für die Schulden der letzten Generation gradestehen sollen. Alles im Dienst eines angeblich dringend notwendigen gemeinschaftlichen Verzichts – wo Banken zu retten, Managergehälter zu erhalten, Politikerpfründe zu wahren und aufoktroyierte Gemeinschaftswährungen zu stabilisieren sind, müssen nunmal Opfer gebracht werden.

Den Jugendlichen in Spanien, die jetzt endlich das Schweigen brechen und auf die Misere aufmerksam machen, gilt deshalb mein Dank, mein Respekt und meine tiefempfundene Solidarität. Ich hoffe, die „Presse“ behält recht und ihre berechtigte Wut, ihr Mut und ihr Engagement greifen auf andere Länder über. Es ist allerhöchste Zeit, mit der Benachteiligung junger Menschen aufzuräumen. Dass das zumindest zu Teilerfolgen führen kann, haben Frankreichs Jugendliche übrigens 2006 mit ihrem erfolgreichen Protest gegen den diskriminierenden Contrat Première Embauche gezeigt.

Dass nun allerdings in Spanien unter Berufung auf die bevorstehende Wahl (zu der man natürlich wie jedes gute autoritäre Regime keine kritischen Äußerungen hören möchte) Demonstrationen untersagt werden, ist ein weiteres beunruhigendes Symptom für den Verfall der demokratischen Kultur in Europa, das selbst mir als langjährigem Prekarisierungskritiker und -gegner, der eigentlich schon jeder Illusionen beraubt ist, schwer zu denken gibt.

Generation Staatsbankrott? Wohl eher wäre von einer Bankrotterklärung jeder politischen Kultur zu reden, wenn eine Regierung angesichts von 45% Jugendarbeitslosigkeit anstelle eines Eingeständnisses des eigenen Versagens auf ganzer Linie die Muskeln spielen lässt und mit billigen Einschüchterungsversuchen reagiert. Die verlorene Generation wird nicht nur ökonomisch klein gehalten, sie soll sich auch politisch nicht mehr äußern dürfen, sondern bitteschön die Klappe halten und zahlen. Europa, ein postdemokratisches Staatengebilde?

Es ist noch schlimmer, als ich bisher dachte.